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der Spiegel

January 1, 2001

LENGTH: 3,156 words

SECTION: KULTUR

HEADLINE: Eigentlich ein verdammt heißer Feger

BYLINE: Christoph Dallach

 

Eigentlich ein verdammt heißer Feger

Aimee Mann könnte ein berühmter Star sein. Doch die amerikanische Musikerin hat sich entschieden, Popmusik für Erwachsene zu machen.

 

Ein Freitagmorgen im Dezember, der Himmel über Los Angeles ist grau, es nieselt, Aimee Mann kauert in einer Limousine Richtung Flughafen, und das Lebendigste an ihr sind die Grippeviren, die gerade das Immunsystem der Künstlerin zerlegen. Wäre sie ein Star, ihr Manager hätte sie längst nach Hause geschickt; hätte sie eine fürsorgliche Plattenfirma, läge sie vielleicht auf dem Sofa und würde sich Gedanken über ihre nächste Platte machen.

Aber Aimee Mann ist allein: Sie ist Plattenfirma und Produkt in einem und noch kein Star, obwohl sie es längst verdient hätte. Deshalb muss sie nun zum Flughafen, auf eine Winter-Konzertreise, zu deren Beginn sie schon total am Ende ist: "Ein paar Pillen, ein paar Tropfen und etwas Vorsicht, dann geht das schon. Viel schlimmer wäre es, zu Hause zu bleiben - das kann ich mir einfach nicht leisten!", sagt die zähe blonde Frau und hustet.

Seit gut einem Jahr, wahrscheinlich länger, so genau hat sie darüber noch nicht nachgedacht, ist die Musikerin schon auf Achse: mal mit ihrem Ehemann Michael Penn, wie sie ein Singer-Songwriter, dann wieder solo mit Band. Immer wieder kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten, kleine Abstecher nach Europa inklusive. Eine zunehmend atemlose Tour de Force, auf der "eine der besten Songwriterinnen ihrer Generation" ("New York Times Magazine") sich selbst und der Welt beweisen will, dass sie nicht kleinzukriegen ist. Denn Aimee Mann ist im Krieg mit der Musikindustrie: Erbittert kämpft sie für gute Musik und künstlerische Freiheit im Allgemeinen und ihre aktuelle CD "Bachelor No. 2" im Besonderen.

Das Album ist seit zwei Jahren fertig, seit einem Jahr geistert es durchs Internet, und nun ist es endlich auch in deutschen Läden angekommen, hier zu Lande beworben und betreut von einer richtigen Plattenfirma. Eine Ausnahme, wie die Musikerin klarstellt: "Es bleibt dabei, dass ich in Amerika nie wieder einen Vertrag bei einer großen Firma unterzeichnen werde. Europa ist einfach zu weit weg, als dass ich mich angemessen um alles kümmern könnte, deshalb wage ich diesen letzten Versuch. Und ich bleibe skeptisch."

Dass sie sich überhaupt dazu durchgerungen hat, ist Resultat eines neuen Selbstbewusstseins am Ende von ein paar triumphalen Monaten. Im vergangenen Jahrzehnt noch wurde sie wie kaum eine andere Musikerin von der Kritik bejubelt und im gleichen Maße von Musikmanagern gedemütigt, und nun plötzlich stand sie im Shrine Auditorium von Los Angeles auf der Bühne der Oscar-Verleihung, um ihren nominierten Song "Save Me" einem Millionenpublikum vorzuspielen - ein Märchen, das sich vielleicht nur in Hollywood ereignen kann.

Dank dafür gebührt dem Filmemacher Paul Thomas Anderson, der seinen Film "Magnolia" um die Musik von Aimee Mann inszenierte. Ein Gefühl, das besonders Menschen über 30 befällt: Die Liebe ist ein großes Rätsel, sie wird immer rätselhafter, je älter man wird, und es wird in diesem Leben wohl kaum mehr zu lösen sein. "Lass die Finger von mir, ich tauge nicht für die Liebe - das ist die Idee des Films, und sie stammt von Aimee Mann", sagt Anderson, der ihre Lieder so tragend mit der Handlung verwob wie einst Regisseur Mike Nichols die Songs von Simon and Garfunkel in "Die Reifeprüfung". In einer Schlüsselszene des Films lässt Anderson in einer Collage alle Darsteller den Aimee-Mann-Song "Wise Up" singen. "Ich war schockiert", sagt die Künstlerin, "als ich das zum ersten Mal sah. Es ist sehr merkwürdig, wenn einen die eigene Musik zum Weinen bringt."

Der Oscar ging natürlich an Phil Collins. Für einen Schlager in Disneys "Tarzan". Hollywood bleibt Hollywood: Märchen ja, Wunder nie. Die Nominierte trug es mit Fassung: "Ich hatte noch nicht mal eine Dankesrede vorbereitet, dafür bin ich einfach zu realistisch."

Gelohnt hat sich der Oscar-Wirbel trotzdem - so viel Werbung kann keine Plattenfirma bezahlen. Auf einmal liefen Aimee Manns Lieder im Radio und auf MTV. Weit über 300 000-mal hat sich der "Magnolia"-Soundtrack inzwischen verkauft, eine kleine Sensation für eine Künstlerin, die sich seit einer Ewigkeit anhören muss, dass ihre Musik vom kommerziellen Standpunkt her unbrauchbar sei. Natürlich hatte sie erwartet, dass bald nach der Oscar-Verleihung die Abgesandten aller großen Konzerne mit tollen Angeboten bei ihr vorsprechen würden. Und natürlich hat ihr die Antwort erst richtig Spaß gemacht: "Schert euch zum Teufel!" "Ein grandioser Moment, und ich habe keinen Augenblick gezögert", sagt sie.

Aimee Mann, 1960 in Richmond (US-Staat Virginia) auf die Welt gekommen, hat das Leben schon früh als etwas unangenehm Chaotisches wahrgenommen. Sie war drei Jahre alt, als die Beziehung ihrer Eltern in die Brüche ging. Und vier, als ihre Mutter sie entführte und auf eine ausgedehnte Reise nach Europa mitnahm. "Mein Vater ließ ein Jahr mit Privatdetektiven nach mir suchen." Zurück in Amerika, arbeitete sie sich mit der Gitarre ihres Bruders durch die gesammelten Werke von Elton John und Neil Young. Nach der High School entschied sie sich für eine Musikhochschule in Boston und landete schließlich in einer Punk-Band. Das passte zwar zu ihrer aufgewühlten Gefühlslage, widersprach aber ihrer Sehnsucht nach Harmonie und Melodien. Anfang der Achtziger startete sie die Elektro-New-Wave-Band 'Til Tuesday. Sie sah aus wie eine Witzfigur aus einem B-Movie: Sie trug grotesk nach oben geföhnte Haare, für die Aimee Mann sich bis heute geniert, sorgte aber mit der von ihr mitverfassten Hitsingle "Voices Carry" dafür, dass sich das Debütalbum der Band in Amerika mehr als 500000-mal verkaufte.

Dass sie trotzdem ziemlich schnell den Spaß an ihrer Clownsgarderobe und an Synthesizern verlor, irritierte nicht nur das Publikum, sondern auch ihre Band und ganz besonders die Plattenfirma. Das war Ende der achtziger Jahre: Ihre Band löste sich auf, und der Streit mit der Plattenindustrie begann - mit immer anderen Firmen und Gesichtern.

Natürlich weiß auch Aimee Mann, dass dieser Krieg kaum zu gewinnen ist. Aber er war wohl leider nötig, um einige der schönsten Lieder der vergangenen Jahre unters Volk zu bringen: Ihre Songs sind kunstvoll arrangierte Balladen, die es an Finesse mit dem Besten von Burt Bacharach, den Beach Boys und den Beatles aufnehmen können, ihre Texte erzählen mit wundersamer Poesie von Resignation und Enttäuschung. Dass Aimee Manns Musik dabei aber nie zu tristem Gejammer verkommt, sondern Charme und die Hoffnung auf märchenhafte Rettung bewahrt, darin steckt vielleicht die wahre Größe ihrer Kunst.

"Immer wieder haben mich Manager taxiert und sich wohl gedacht: Die ist groß, blond und attraktiv - die müssen wir nur anständig aufbrezeln, dann ist sie doch ein verdammt heißer Feger. Dass ich eher in die Kategorie einer Joni Mitchell gehöre, ist ihnen nie in den Sinn gekommen", sagt Aimee Mann.

Diese Aneinanderkettung von Missverständnis, Unglück und Unfähigkeit hatte zur Folge, dass vor dem "Magnolia"-Soundtrack und "Bachelor No. 2", die nahezu parallell erschienen, in fast zehn Jahren nur zwei CDs von ihr auf den Markt kamen und, kommerziell gesehen, nur wenig beachtet wurden. "Aimee Mann schreibt Songs wie einst die Beatles - das Problem ist nur, dass das heute anscheinend niemanden mehr interessiert", schrieb der britische Schriftsteller Nick Hornby, ein glühender Verehrer der Künstlerin.

Natürlich haben die Profis der Plattenindustrie die Marktchancen dieser Popmusik für Erwachsene längst durchgerechnet, und sie haben festgestellt, dass es sich eher lohnt, ihre Dollar in die Suche nach der nächsten Britney Spears zu investieren, als in eine 40-jährige, schwermütige Frau mit Gitarre. Und wahrscheinlich haben sie, was das Kaufmännische angeht, sogar Recht. Es ist einfach eine schlechte Zeit für Musik, die nicht an Teenager adressiert ist. Deshalb entschloss sich Aimee Mann, nachdem die Aufnahmen für "Bachelor No. 2" bei der damals zuständigen Plattenfirma auf wenig Gegenliebe stießen ("Wir hören keine Single!"), ihre Karriere selbst in die Hand zu nehmen. "Ich wusste, dass ich mich nicht mehr um die Regeln dieser Menschen kümmern möchte, und begrub gleichzeitig den Traum, dass sie mich eines Tages verstehen würden."

Sie nahm sich einen Anwalt, kaufte die Aufnahmen für "Bachelor No. 2" von der Firma Interscope zurück und vertreibt die Platte seitdem über ihre Website oder bei ihren Konzerten und über unabhängige Plattenvertriebe. Das hat Aimee Mann für viele Musiker in ähnlichen Nöten zu einer unbeugbaren Kreuzritterin der guten Musik werden lassen. Superego Records hat sie ihre Firma genannt, "United Musicians" heißt ein Projekt, das sie mit ihrem Mann geplant hat und das zur Anlaufstelle ähnlich gebeutelter Künstler werden soll.

Für all das ist Aimee Mann auf Dauertournee. "Ich organisiere alles, zahle meine Pressebilder, schreibe die Infos, entwerfe die CD-Hüllen und Konzertplakate und klebe die Briefmarke auf jeden Umschlag, der mein Büro verlässt!"

Mitleid aber muss niemand mit ihr haben, denn was wie eine Kapitulation erscheinen mag, ist eher ein eindrucksvoller Erfolg: Mehr als 150000 Exemplare des "Bachelor No. 2"-Albums wurden in den USA bereits verkauft. Und da Aimee Mann den Gewinn daraus mit keiner Plattenfirma teilen muss, verdient sie "mehr Geld als je zuvor".

Das Einzige, was zurzeit auf der Strecke bleibt, ist das Songschreiben. Denn das setzt Ruhe voraus. "Ich habe in den vergangenen zwei Jahren nur ein neues Lied geschrieben und aufgenommen. Für die europäische Version von, Bachelor No. 2'." Irgendwann in 2001 soll Pause sein. Hoffentlich. Aber jetzt muss Aimee Mann erst mal zum Flughafen. Nach Seattle. Dann Portland. Und danach weiter. Immer weiter.

(Translation coming soon!)

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